16.10.2019

Demenzfreundlich Wohnen

Wir sind alle Teil einer immer älter werdenden Bevölkerung, damit steigt auch für jeden Einzelnen das Risiko an Demenz zu erkranken. Gleichzeitig möchten wir aber alle so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben. Ein Unterfangen, das alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt.

In meiner Bachelorarbeit habe ich mich dem Thema demenzfreundliches Wohnen gewidmet. Mittels einer Literaturrecherche konnte ich sieben relevante Kriterien herausarbeiten und überprüfen, inwieweit diese in bereits bestehenden Wohnformen angeboten werden.

Demenzfreundlich Wohnen 7 Kriterien

Kleine Wohngruppen sorgen für Individualität und Mitbestimmung

Kleine Wohngruppen können die Lebensqualität von Menschen mit Demenz positiv beeinflussen. Je nach Studie variiert die ideale Anzahl an Bewohnern. Generell gilt: Je kleiner die Wohngruppe, desto weniger Hilfestellungen werden bei Aktivitäten des alltäglichen Lebens benötigt, weniger freiheitsentziehende Maßnahmen eingesetzt und ungünstige Stimuli, wie etwa Lärm, sind leichter kontrollierbar. Mit individuell gestalteten Einzelzimmern können Verhaltensauffälligkeiten weiter verringert werden.

Demenzfreundliche Wohnraumgestaltung sorgt für mehr Sicherheit und Selbstständigkeit

Das eigene Zuhause hat besonders für Menschen mit Demenz eine hohe emotionale Bedeutung.  Oft haben sie nur noch hier das Gefühl der Identität, der Kontrolle und des Eigentums. Ein Umzug sollte so lange wie möglich vermieden werden. Mit dem Fortschreiten der Krankheit steigt allerdings das  Risiko einer Selbst- oder Fremdgefährdung, umso wichtiger ist es den Wohnraum möglichst demenzfreundlich zu gestalten. Dies kann durch verschiedene Anpassungen, die auf die Förderung geistiger Fähigkeiten, Sicherheit und Unterstützung der Selbständigkeit und Kompetenz ausgerichtet sind geschehen. Diese Maßnahmen können beispielsweise die Beseitigung von Stolperfallen oder den Einbau eines Herdsicherungssystems umfassen. Darüber hinaus sollte die Wohnung Orientierungshilfen für ein selbstbestimmtes Leben bieten (z.B. Kalender, Beschilderung, Zimmernummerierung) und barrierefrei gestaltet sein.

Ein demenzfreundliches Wohnumfeld sorgt für Vertrautheit und Orientierung

Während sich Wohnraumgestaltung mit dem eigenen Zuhause beschäftigt, zielt die Gestaltung des Wohnumfeldes auf den Außenbereich ab. Die Maßnahmen, um bedarfsgerechte Lebensräume für Menschen mit Demenz zu schaffen, lassen sich in vier Handlungsfelder unterteilen:

  • die Realisierung von Versorgungssicherheit
  • die Förderung eines integrativen und solidarischen Miteinanders
  • der bedarfsgerechte Ausbau altengerechter Wohnangebote und die Ermöglichung von Partizipation
  • die bedarfsgerechte Gestaltung eines sozial erlebbaren, nutzbaren, sicheren und lesbaren Wohnumfeldes

Folgende Gestaltungsprinzipien können außerdem dabei helfen die Orientierung zu verbessern und Ängste und Verwirrung zu reduzieren.

Das richtige Betreuungs- und Pflegekonzept sorgt für Handlungsfreiheit und Schutz

Was zeichnet ein speziell auf die Erkrankung Demenz ausgerichtetes Pflegekonzept aus? Vor allem sollten häufige Wechsel der Betreuungspersonen vermieden werden, dies gelingt beispielsweise bei Konzepten mit Gruppen- und Bezugspflege. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Betreuungskonzeptes liegt in der Biografiearbeit. Dabei befasst man sich mit der Lebensgeschichte und den Verhaltensweisen der Betroffenen, was dabei helfen kann bestimmte Reaktionen der Erkrankten zu verstehen. Im Laufe der Krankheit sind die Betroffenen zunehmend auf Hilfe von anderen angewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass Pflege- und Betreuungskräfte auf die richtige Balance zwischen Handlungsfreiheit und Schutz achten.

Versorgungsmanagement sorgt für eine erleichterte Wahl der Pflegeleistungen

Ob zu Beginn einer Demenz oder in einem fortgeschrittenen Stadium, Betroffene und Angehörige sind früher oder später auf Pflegeleistungen angewiesen. Hier kommt das Versorgungsmanagement ins Spiel, es hilft den Betroffenen und Angehörigen dabei das vorhandene Pflegeangebot, im richtigen Moment und im richtigen Umfang einzusetzen.

Übergreifend stehen die ambulante Versorgung (inklusive der eigenen Häuslichkeit) und stationäre Einrichtungen der Akutversorgung im Vordergrund. Mit Fortschreiten der Erkrankung können teilstationäre Angebote, Wohnangebote und stationäre Einrichtungen der Langzeitpflege erforderlich werden.

Sicherstellung der medizinischen Versorgung sorgt für optimierte Behandlungsmöglichkeiten

In der Früherkennung ist der Hausarzt meist die erste Anlaufstelle, dieser wird bei Verdacht einer Demenz die entsprechende Diagnostik und eine koordinierte Unterstützung veranlassen sowie die medikamentöse Behandlung betreuen. Durch Hausbesuche werden pflegerische Maßnahmen und die aktuelle Versorgungssituation überwacht, sodass eine Reduzierung der Pflegeheimaufenthalte erreicht werden kann. Treten untypische Symptome oder sehr ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten auf und handelt es sich um einen ungewöhnlich frühen Krankheitsbeginn oder einen besonders raschen Verlauf, empfiehlt es sich, einen Facharzt für Psychiatrie/Neurologie oder eine spezialisierte Einrichtung, beispielsweise eine Memory Klinik oder Gedächtnisambulanz, hinzuzuziehen.

Entlastungsangebote sorgen für Alltagserleichterung und Austauschmöglichkeiten von und für Angehörige

Die Belastung pflegender Angehöriger nimmt aufgrund mehrerer Faktoren zu:

  • Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege
  • fehlende Unterstützung aus dem engsten Familienkreis
  • steigende räumlichen Distanz zu den zu Pflegenden
  • hoher zeitlicher Pflege- und Betreuungsaufwand

Als Konsequenz sollte demenzfreundliches Wohnen auch Entlastungsangebote beinhalten, z.B.:

  • allgemeine Wissensvermittlung zur Erkrankung
  • Erlernen von Bewältigungsstrategien
  • Gesprächsgruppen oder gemeinsame Gruppen für Angehörige und Erkrankte

Zieldimensionen von Entlastung umfassen dabei die situative Erleichterung bzw. emotionale Entlastung, Zugänge zum Leistungsspektrum, persönliche Bedürfnisse und Freiräume sowie den Umgang mit Verhaltensänderungen.

Zusammenfassend wird ersichtlich, dass Demenzdörfer und ambulant betreute Wohngemeinschaften bereits demenzfreundliche Wohnangebote darstellen. Im Bereich von Versorgungsmanagement und Öffnung in die Gemeinde besteht jedoch noch großer Handlungsbedarf. Wohnen zu Hause und das klassische Konzept eines Betreuten Wohnens weist gerade mit Fortschreiten der Erkrankung Grenzen auf. Ein innovatives Beispiel im Bereich Betreutes Wohnen ist das Betreute Wohnen der Memo Clinic® in Stralsund.
Am Ende dieses Beitrags möchte ich gerne festhalten, dass dieser von mir erstellte Kriterienkatalog als Resultat meiner Literaturrecherche und somit aus fachlicher Sicht zu betrachten ist. Meiner Meinung nach ist es dringend notwendig, diese Kriterien mit an Demenz erkrankten Menschen und vor allem mit deren Angehörigen zu diskutieren. Nur so können wir herauszufinden, ob diese tatsächlich ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechen um dann gemeinsam individuelle Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Damit kann bei weiteren Vorhaben gleichzeitig Paternalismus vermieden und stattdessen Empowerment und Partizipation erzielt werden.

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